Kernreaktor: Kernspaltung als Kettenreaktion

Kernreaktor: Kernspaltung als Kettenreaktion
Kernreaktor: Kernspaltung als Kettenreaktion
 
Im Jahre 1938 entdeckten Otto Hahn und Fritz Straßmann, dass Urankerne von langsamen Neutronen gespalten werden können. Lise Meitner erklärte den Vorgang 1939 theoretisch. Sie stellte fest, dass bei der Spaltung (»Fission«) weitere Neutronen entstehen, dass es also zu einer Kettenreaktion kommen kann, und berechnete die frei werdende Energie. Die technische Umsetzung gelang Enrico Fermi, der im Dezember 1942 mit seiner Arbeitsgruppe bei Chicago den ersten Kernreaktor in Betrieb nahm.
 
 Spaltstoffe und Brutstoffe
 
Alle schweren und mittelschweren Atomkerne sind durch Kollision mit langsamen (abgebremsten) Neutronen spaltbar. Doch verhalten sich dabei nicht alle gleich. Einen entscheidenden Unterschied zeigen die Uran-Isotope 233 und 235 (U-233, U-235) ebenso wie die Plutonium-Isotope 239 und 241 (Pu-239, Pu-241). Während nämlich andere Kerne nur ein Neutron freisetzen oder auch gar keines, emittieren diese gleich zwei oder drei »schnelle Neutronen«. Nur so kann überhaupt eine Kettenreaktion in Gang kommen. Deshalb sind allein diese Kerne als Brennstoffe für Kernreaktoren geeignet. Man nennt sie Spaltstoffe, im Unterschied zu Brutstoffen wie Thorium-232 (Th-232) und Uran-238 (U-238), die sich durch Einfang schneller (unabgebremster) Neutronen in Spaltstoffe umwandeln können. Technisch lässt sich das in Brutreaktoren nutzen.
 
Kernbrennstoffe zerfallen bei der Spaltung in (meist zwei) leichtere Folgekerne. Gleichzeitig setzt das Spaltmaterial Neutronen (Spaltneutronen) frei: entweder sofort als prompte Neutronen oder nach wenigen Sekunden als verzögerte Neutronen. Die verzögerten Neutronen spielen für die Reaktorregelung eine wichtige Rolle. Die Masse der Spaltprodukte ist immer etwas kleiner als die Masse des Ausgangskerns. Dieser Massedefekt entspricht der Energie, die bei der Spaltung entsteht.
 
 Thermische und schnelle Reaktoren
 
Das Prinzip der Wärmeerzeugung durch Kernenergie nutzt man in Kernkraftwerken aus, deren zentrale Komponente der Reaktor ist. In ihm ist es möglich, eine Kettenreaktion in Gang zu setzen und kontrolliert aufrechtzuerhalten. Ein Reaktor besteht aus der Spaltzone, die den Kernbrennstoff enthält, aus einer Abschirmung und Regeleinrichtungen. Bestimmte Typen haben auch einen Moderator zum Abbremsen von schnellen Neutronen. Hierfür wird z. B. leichtes oder schweres Wasser verwendet, aber auch Graphit. Während der Moderierung geben die energiereichen Neutronen ihre Bewegungsenergie von etwa 1 MeV aus der Kernspaltung durch Stöße bis auf einen Wert von rund 0,025 eV ab. Die abgebremsten Neutronen können dann viel länger mit den U-235-Kernen in Wechselwirkung treten und die Wahrscheinlichkeit ihres Einfangs und somit einer Spaltung steigt. Grundsätzlich unterscheidet man demzufolge zwischen thermischen und schnellen Reaktoren.
 
Bei den ersten wird die Kettenreaktion durch die abgebremsten, d. h. thermischen Neutronen aufrechterhalten. Der Name rührt daher, weil sie im thermischen Gleichgewicht mit ihrer Umgebung stehen; bei Raumtemperatur haben sie eine Energie von etwa 0,025 eV (entsprechend einer Geschwindigkeit von 2200 m/s). Bei schnellen Reaktoren hingegen sind es schnelle Neutronen, die die Kettenreaktion tragen. Diese Reaktoren haben keinen Moderator. Das unterscheidet sie von den thermischen, die im Betrieb nach Anzahl und Leistung weit überwiegen.
 
 Leichtwasserreaktoren
 
Alle Reaktoren, die mit leichtem Wasser (H2O) statt mit schwerem (D2O) moderiert und gekühlt sind, nennt man Leichtwasserreaktoren. Sie sind die meistverbreiteten Typen im praktischen Einsatz. Der Reaktorkern aus Brenn- und Steuerelementen wird hier von einem Stahldruckbehälter umfasst, der mit Wasser gefüllt ist. Dieses nimmt die Wärme auf, die während der Spaltung entsteht. Handelt es sich um einen Siedewasserreaktor, so verdampft das Wasser unmittelbar im Druckbehälter. Bei einer Auslegung als Druckwasserreaktor findet dieser Vorgang erst im Dampferzeuger eines zweiten Kreislaufs statt. Der entstehende Dampf dient dazu, eine Turbine anzutreiben.
 
 Brutreaktoren
 
Brutreaktoren können mehr Spaltstoff erzeugen, als sie verbrauchen. Hierzu gehört der Schnelle Brutreaktor (»Schneller Brüter«), bei dem schnelle Neutronen die Kettenreaktion tragen. Durch Neutroneneinfang wandelt sich der Brutstoff U-238 in den Spaltstoff Pu-239 um. Da dieser Typ schnelle Neutronen zum Aufrechterhalten des Brutprozesses benötigt, scheidet Wasser als Kühlmittel aus, weil es die Neutronen zu stark abbremst. Stattdessen verwendet man Natrium, das oberhalb von 97 ºC flüssig wird. Schnelle Brüter können das Uran um einen Faktor 60 besser ausnutzen als konventionelle Leichtwasserreaktoren.

Universal-Lexikon. 2012.

Игры ⚽ Поможем написать реферат

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Kernreaktor — Atomkraftwerk; AKW; Kernkraftwerk; Atomreaktor; Nuklearmeiler; KKW; Atommeiler * * * Kẹrn|re|ak|tor 〈m. 23〉 Anlage, in der Spaltungen von Atomkernen in einer kontrollierten Kettenreaktion ablaufen u. Energie frei wird; Sy Atommeiler, Atomreaktor …   Universal-Lexikon

  • Kernspaltung — Atomspaltung; Fission * * * Kẹrn|spal|tung 〈f. 20; Kernphys.〉 Zerfall eines schweren Atomkerns in zwei Bruchstücke, entweder spontan od. aber durch Neutronenbeschuss od. eine ähnliche Energiezufuhr angeregt * * * Kẹrn|spal|tung: meist durch… …   Universal-Lexikon

  • Kettenreaktion — Dominoeffekt * * * Kẹt|ten|re|ak|ti|on 〈f. 20〉 1. 〈Chem.; Kernphys.〉 chemische od. Kernreaktion, die einmal ausgelöst wird u. ihrerseits weitere Reaktionen derselben Art bewirkt 2. 〈fig.〉 Folge von Reaktionen od. Ereignissen, die durch eine… …   Universal-Lexikon

  • Kernreaktor — Der für Forschungszwecke entwickelte Kernreaktor „CROCUS“ des EPFL in der Schweiz …   Deutsch Wikipedia

  • Kernspaltung — Animation einer Kernspaltung nach dem Tröpfchenmodell mit drei freiwerdenden Neutronen (wird nur in der Vollansicht abgespielt) …   Deutsch Wikipedia

  • Kernspaltung: Der Weg zur Atombombe —   Am 22. Dezember 1938 erscheint in der Zeitschrift »Die Naturwissenschaften« ein Artikel der Wissenschaftler Otto Hahn und Friedrich Straßmann. Darin beschreiben sie ein sonderbares Phänomen, das bei der Bestrahlung von Uran mit Neutronen… …   Universal-Lexikon

  • Natürlicher Kernreaktor — Stilisierter Kernreaktor auf einer Briefmarke der Deutschen Bundespost (1964) Ein Kernreaktor (auch: Atomreaktor oder Atommeiler, veraltet Atombrenner) ist eine Anlage, in der eine Kernspaltungsreaktion kontinuierlich im makroskopischen,… …   Deutsch Wikipedia

  • Nukleare Kettenreaktion — Eine Kettenreaktion ist eine physikalische oder chemische Umwandlung (Reaktion), die weitere gleichartige Umwandlungen nach sich zieht und sich dadurch selbst unterhält, indem entweder eines der Produkte der Einzelreaktion als Ausgangsprodukt… …   Deutsch Wikipedia

  • Uranprojekt — Als Uranprojekt wird die Gesamtheit der Arbeiten in Deutschland während des Zweiten Weltkrieges bezeichnet, bei denen die 1938 entdeckte Kernspaltung technisch nutzbar gemacht werden sollte. Die wichtigsten am Uranprojekt beteiligten… …   Deutsch Wikipedia

  • Atomspaltung — Kernspaltung Kernspaltung bezeichnet einen Prozess der Kernphysik, bei dem ein Atomkern unter Energiefreisetzung in zwei oder mehr Bestandteile zerlegt wird. Seltener wird die Kernspaltung auch als Kernfission (v. lat. fissio = das Spalten)… …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”